Das Wohlwollen und der Kritik-Reflex

Innsbruck-Wahl, Grips-Group und Babler-Bashing: Die Wochenschau der Innenpolitik ist ein prototypischer Balanceakt für ihre Medien-Wahrnehmung. Zwischen zu viel Wohlwollen und zu reflexartiger Kritik lauert der Abgrund des Vertrauensverlusts

von Medien & Menschen - Das Wohlwollen und der Kritik-Reflex © Bild: Gleissfoto

Die schönste Episode einer Nachwahlparty in Innsbruck ist, als Noch- und Bald-Bürgermeister Georg Willi (Grüne) und Hannes Anzengruber (Ex-ÖVP) gemeinsam mit der künftigen Vizestadtchefin Elli Mair (SPÖ) und der linken Einmannfraktion Mesut Onay (ALI) zu Mikis Theodorakis’ „Sorbas“-Klängen Sirtaki tanzen. Es wirkt wie ein Versprechen konstruktiver Partner - trotz parteilicher Gegnerschaft. Eine Frenemy-, also Freundfeind-Konstruktion, wie sie auch Medien mit Social Media suchen müssen.

Szenenwechsel: Als sich in Wien die Initiative „Mehr Grips – Impulse für eine gute Politik“ präsentiert, erhalten die 30 Persönlichkeiten mehr Interesse, als es für eine Gruppe, die noch keinen Vorschlag hat, zu erwarten wäre. Doch von AMS-Vorstand Johannes Kopf bis Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und von Klimaaktivistin Katharina Rogenhofer bis Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr erntet sie durchwegs Vorschuss-Wohlwollen. Ein Promi-Effekt in Paarung mit Politik-Sehnsucht.

Neben Verrohung der Sprache stört die Grips-Group, wie reflexhaft die Vorschläge von politischen Mitbewerbern abgekanzelt werden. Prompt kritisiert Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter den Plan von SPÖ-Chef Andreas Babler, 16- bis 30-Jährigen pro Jahr 150 Euro Förderung für Medien-Abos zu geben. Das soll mit Journalismus und seiner Funktion in Demokratien vertraut machen. Sie aber meint, die SPÖ hätte viel nicht verstanden, denn junge Leute informierten sich auf TikTok & Co.

Das stimmt. Aber muss es so bleiben? Soll es hingenommen werden? Lohnt es nicht, für den Erhalt von Medien zu kämpfen? Dem politischen Gegner dafür Unverständnis zu unterstellen, ist jedenfalls unkonstruktiv. Wohin die permanente Herabsetzung des Mitbewerbers führt, zeigen regelmäßige Erforschungen der Institutionen-Glaubwürdigkeit. Nichts genießt weniger Vertrauen als Parteien. Aber ihr Konkurrenzverhalten findet immer mehr Nachahmer unter Medien und Journalisten.

Dieses Konzept der Polarisierung entspricht dem Prinzip, dass nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind. Social Media wirken als Turbo für diese Methoden. Wie da auf offener Bühne aufeinander eingedroschen wird, schadet dem Vertrauen in Politik und Medien insgesamt. Das gilt aber auch für das gegenseitige Verhältnis dieser zumindest in Demokratien idealerweise komplementären Größen. Die zur Kontrolle notwendige wechselweise Kritik schießt in Inhalt und Form immer öfter über das Ziel hinaus.

Aus dieser Perspektive ist es überraschend und sinnvoll, wie wenig Skepsis es vorerst zu „Mehr Grips“ gibt, das kaum zufällig kurz vor Bekanntgabe von 24 Ideen des SPÖ-Expertenrats präsentiert wurde (der erwähnte Abo-Zuschuss ist eine davon). Das freundliche Entgegenkommen aufgrund glaubwürdiger Proponenten entspricht auch den jüngsten Wahlergebnissen. Weder in Salzburg noch in Innsbruck war das eine Entscheidung zwischen rechts und links, sondern ein Vertrauensvorschuss für Personen.

Die Sehnsucht nach konstruktiver Tatkraft, hoffnungsvollen Zukunftsoptionen, und „dass endlich etwas weitergeht“, war selten größer. Sie gilt in erster Linie der Politik, betrifft aber auch die Medien. Sie haben aktuell die Rollenwahl zwischen Notarzt und Bestattungshelfer der Demokratie. Entsprechend schwierig ist ihr Balanceakt der Begleitung. Das gilt auch für die Grips-Partie, die erst liefern muss, aber umgehend
von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, seinem grünen Vize Werner Kogler und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger begrüßt wurde. Wenn die Truppe wie angekündigt im Mai und Juni Konzepte präsentiert, sind ihre Vorschläge ebenso hart zu prüfen wie die schon vorliegenden des SPÖ-Expertenrats.

Unter ähnlichem Vorbehalt steht die vorerst so harmonisch anmutende Entwicklung in Innsbruck, wo Theodorakis 1987 ein zu wenig beachtetes Orchesterkonzert in der Skisprungarena auf dem Bergisel gegeben hat. Als die wahrscheinlichen Koalitionäre am Sonntag zu Nikos Kazantzakis‘ „Sorbas“ ihre Beine hoben, dachten sie kaum daran, an welcher Stelle des Films dieser Tanz kommt – nach dem Einsturz einer mühsam errichteten Konstruktion. Schlüsselsatz: „Hast du jemals etwas so bildschön zusammenbrechen sehen?“ Das Zitat schwebt heute wie ein Damoklesschwert über Parteien, Medien und Demokratie.